John McCains Vermächtnis: Die Politik braucht dringend wieder Anstand
Warum Persönlichkeiten wie der gerade gestorbene Republikaner nicht nur in Amerika fehlen: Was ist in unseren Demokratien geschehen, dass Egomanie, Mittelmaß und Wahn Einzug gehalten haben?
Wenn man wissen will, was für ein Mann John McCain war, dann geht man am besten zurück zum 15. Juni 1968. McCain war damals ein Dreivierteljahr in nordvietnamesischer Gefangenschaft und sowohl physisch wie psychisch ein Wrack.
Als sein Flugzeug über Hanoi abgeschossen wurde und er den Schleudersitz auslösen musste, hatte er sich Arm- und Beinbrüche zugezogen, die nach seiner Gefangennahme von den Nordvietnamesen lange nicht behandelt wurden. Dazu kamen weitere Verletzungen, die seine Peiniger ihm zugefügt hatten. McCain hatte auch lange Zeit in Isolationshaft verbracht, was ihm seelisch zusetzte.
Und dann kam plötzlich das verlockende Angebot vom Chef des Kriegsgefangenenlagers: „Wollen Sie nach Hause gehen?“ McCains Vater war gerade zum Oberkommandierenden des Vietnamkrieges ernannt worden, und die Kommunisten glaubten, sie könnten einen Propagandaerfolg erzielen, wenn sie seinen Sohn freiließen. Doch McCain sagte Nein, und er blieb auch dabei, als die Nordvietnamesen ihm einen Brief seiner Frau zeigten, in dem sie von der Hoffnung schrieb, dass McCain bald freikommen würde.
Es wird viel Aufhebens gemacht über die politischen Meinungsverschiedenheiten, die McCain und Donald Trump in den vergangenen Jahren hatten. Doch was den hochdekorierten Kriegshelden und den vielfachen Militärdrückeberger vor allem unterscheidet ist ihre Persönlichkeit. Ein Beweis dafür, dass altmodische Werte noch immer ihre Berechtigung haben – auch in der Politik.
McCain folgte damals einem militärischen Ehrenkodex. „Du wirst keine Bewährung oder Amnestie akzeptieren und keine Vorzugsbehandlung“, lautete der. Das mag für deutsche Ohren befremdlicher klingen als für amerikanische, schließlich wurde der soldatische Ehrbegriff in der deutschen Geschichte auch für böse Zwecke missbraucht.
Man kann es aber auch Anstand nennen, gepaart mit Empathie für seine Mitgefangenen. Denn McCain wusste, dass es die Moral gerade der einfachen US-Soldaten treffen würde, wenn ein Admiralssohn eine Vorzugsbehandlung akzeptieren würde. Und so zog er es vor, mehr als weitere vier Jahre in Haft zu bleiben, wo er weitere Folter und Isolation ertragen musste.
Man kann nicht verlangen, dass heutige Politiker Prüfungen durchlaufen wie die, die der verstorbene Senator ertragen musste. Es gehört zum Glück unser westlichen Demokratien, dass wir in weitgehend postheroischen Zeiten leben, in denen die wenigsten von uns vor solch dramatische Entscheidungen gestellt werden. Aber McCain und der Kontrast zu Trump machen deutlich, wie wichtig Charakterstärke in der Politik ist und dass es falsch ist, wenn wir das politische Personal nur mit der Haltung des Zynikers betrachten.
In Deutschland ist es üblich, Privatleben und Politik als getrennte Sphären zu betrachten, ganz so, als könne das eine keine wertvollen Informationen für das andere liefern. Dabei musste man nicht warten, bis sich Ex-Kanzler Gerhard Schröder einem Wladimir Putin an den Hals wirft, um zu wissen, dass es sich um einen Hallodri mit mangelndem moralischen Koordinatensystem handelte. Das konnte man schon lernen aus der Art, wie er seine vielen Ehefrauen behandelte.
Ähnlich verhält es sich mit Trump. Wer sich vor der Wahl eingehender mit dessen Privat- und Geschäftsleben beschäftigte, dürfte von nichts überrascht werden, was der Präsident sich im Amt leistet. Die Gefallsucht, die Korruption, die Missachtung von Justiz und Regeln, das Nachtreten gegen Schwächere, das Mobbing, die Lügen, die Frauenfeindlichkeit, die Ignoranz bei gleichzeitig bombastischer Selbstüberschätzung waren für jeden sichtbar, der genauer hinschaute.
Auch in der Politik gibt es den Fluch der geringen Erwartungen. Wir nehmen oft an, dass Politiker allein an Macht und am politischen Überleben interessiert sind. Und wir vergessen dabei, dass es gerade in Demokratien eigentlich um mehr gehen sollte.
In den Elogen auf McCain wird gerne betont, er habe seinem Land und seinen Idealen „gedient“. Ein altmodisches Wort, das in Deutschland nicht gern gebraucht wird, weil es nach Untertanentum riecht. Doch gemeint ist damit etwas anderes – dass es nämlich höhere Dinge in der Politik gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt und die über das pure Eigeninteresse hinausragen.
McCain hatte nach seiner Gefangenschaft als Verbindungsoffizier im US-Kongress vom Demokraten Henry „Scoop“ Jackson gelernt, wie wichtig es ist, wenn Politiker in der mächtigsten Demokratie sich für Dissidenten und Unterdrückte in Diktaturen einsetzen.
Vietnam machte ihn zum realistischen Moralisten
„All die Reisen, all diese Reden, Meinungsstücke, Pressemitteilungen, Interviews, in denen ich meine Unterstützung für Ukrainer und Georgier und Esten und Montenegriner ausgedrückt und Putin verurteilt habe und meine eigene Regierung kritisierte. Hat das irgendwas verändert, etwas verbessert? Ich hoffe das“, schrieb McCain in seinem letzten Buch.
„Was ich aber mit Sicherheit weiß, ist, dass es den Leuten, denen ich helfen wollte, etwas bedeutete, weil sie es mir gesagt haben.“ Und dennoch war McCain jedes Mal wieder überrascht und gerührt, wenn Dissidenten aus irgendeinem Flecken der Erde sich bei ihm bedankten dafür, eine mahnende Stimme gewesen zu sein, die bis in die dunkelsten Kerker gehört wurde.
McCain hatte in Gefangenschaft die schlimmsten und die besten Seiten der menschlichen Natur kennengelernt. Sadistische Folterer genauso wie aufopferungsvolle Kameraden, die den schwer verletzten Bomberpiloten gesund pflegten. Das machte ihn zu einem realistischen Moralisten.
Er hegte wenig Illusionen, wozu Menschen fähig sind. Er hörte aber auch nie auf daran zu glauben, dass jeder Mensch ein Recht hat, ein Leben in Würde zu führen, und dass es Amerikas Mission war, als Geburtshelfer von Freiheit und Demokratie in der Welt zu agieren.
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Trump geht all das ab. Er hat keine Ideale und interessiert sich für nichts, was über seinen egozentrischen Horizont hinausreicht. Und vor allem mangelt es ihm an Einfühlungsvermögen für andere, etwa denen, die in den Kerkern der von ihm so gern hofierten Autokraten dahinschmoren.
„Unsere Interessen machen es oft notwendig, mit einigen ziemlich bösen Akteuren zu tun zu haben“, so McCain. „Aber wir sollten das nicht unter der Bedingung tun, dass wir uns dabei zurückhalten zu kritisieren, wie sie ihre eigenen Leute behandeln.“
Natürlich hat McCain auch Fehler gemacht. Doch seine Charakterstärke zeigte sich auch darin, dass er in der Lage war, seine Fehlgriffe öffentlich einzugestehen. Auch das ist eine seltene Tugend in der Politik. Trumps Wut auf McCain, die ihn bis ins Grab verfolgt, hat denn auch Ursachen, die weit über politische Meinungsverschiedenheiten hinausreichen. Der Präsident weiß schlicht, dass McCain ein Kaliber hatte, an das der Narziss im Weißen Haus nie heranreichen wird.
McCain genießt in Umfragen inzwischen ein höheres Ansehen bei Demokraten als bei Republikanern. Das zeigt die Polarisierung in den USA. Man ist entweder im einen Team oder dem anderen. Einer wie McCain, der zuweilen gegen die Parteilinie stimmte, gilt vielen Republikanern als Verräter. Tatsächlich hat McCain seinen Job im Kongress aber so verstanden, wie ihn die Verfassungsväter angelegt hatten: als Kontrollorgan der Regierung.
McCain hielt vielen feigen Parteigenossen damit einen unangenehmen Spiegel vor, die sich als willige Hilfstruppen des Präsidenten verstehen, egal welchen Schaden er der Demokratie zufügt. McCain vertrat damit ein traditionelles Institutionenverständnis.
Er war der letzte Vertreter einer anderen Ära der US-Politik, der wie ein Findling in die Trump’sche Gegenwart hineinreichte. Er hinterlässt eine schmerzhafte Lücke die zeigt, dass Charakter eine vernachlässigte Größe in der Politik geworden ist. Nicht nur in den USA.
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